Tanzbär in Japan | | Drucken | |
![]() 259 Stunden Drehorgelspiel in Japan Erlebnisbericht von Daniel Widmer, Basel Jetzt auf dem Heimflug von Japan (mit Swissair MD 11) schreibe ich an
diesem Bericht. 259 Std. Drehorgelspiel in der kleinen „japanischen“ Schweiz
oder im Freizeitpark der „Rindoh-Ko Family“ in Nasu Kogyo (ca. 180 km nördlich
von Tokyo). Noch vor meiner Abreise am 6.10.1999 bat mich Ruedi einen Bericht zu
schreiben, was ich auch immer vor hatte, aber es ist jetzt schon einige Zeit
vergangen bis dieser Bericht fertig wurde. Nun gut - alles begann am Drehorgelfestival in Sarnen wo ein Japaner unsere
Postkarte mit den Worten: „Ist da Adresse drauf ?“ in Empfang nahm. Am Sonntag
Morgen klingelte das Telefon und es meldete sich ein Herr Ohaschi. „ Möchten Sie
gerne 4 Wochen in Japan Drehorgel spielen“ fragte er mich, „Warum nicht!“
antwortete ich Ihm. Dann erklärte er mir: „Frau können Sie nicht mitnehmen“ und
„Orgel haben wir schon“. Weiter erklärte er mir dass, der Ort des Geschehens ein
Vergnügungspark der „Die kleine Schweiz“ heisst ist und das dies eine
Tochterfirma einer japanischen ***** Hotelkette ist, sowie alle
Konditionen. Übernommen wurde die Reise, Unterkunft und die ganze Verpflegung sowie die
Betreuung vor Ort. Weiteres erhielt ich per Email und den Park konnte ich mir im
Internet unter www.rindo.co.jp ansehen.
Die Orgel war eine 20/31-er Deleika mit Intarsien-Gehäuse die vor ca. 10-12
Jahren 1 Mio. Jen (heute ca. CHF 14'000.-) gekostet hat! Nun weiter im Text -
für Japan benötigte ich viele Formalitäten: Vertrag, Visa, Arbeitsbewilligung,
Fotos, musikalischer Lebenslauf, Vollmacht, Einreisebewilligung etc.; die
Japaner sind noch viel die grösseren „Bürolisten“ wie wir Schweizer. Da wir im
August in den Ferien weilten, verzögerten sich die Erledigungen der Formalitäten
und Herr Ohaschi wurde schon ganz nervös, doch es klappte alles minutiös. Hier
möchte ich mich noch bei meinem Arbeitgeber dem Basler Sanitätsdepartement und
meinen Mitarbeiten bedanken die Ihr Einverständnis für meinen unbezahlten Urlaub
von 4 Wochen gaben. Sowie meiner lieben Frau Esthi, dass ich Sie so lange
alleine lassen durfte - d.h. sie hatte 5 Wochen Ferien von
mir. Nun weiter: Am Mittwoch 6.10.99 abends flog ich von Zürich-Kloten aus mit
einem Jumbo der Japan Airlines nach Tokyo (11 Std. Flug und 7 Std.
Zeitverschiebung voraus) d.h. Ankunft am Donnerstag 7.10.99 um ca. 18.00 Uhr. Am
Flughafen Narita wurde ich von Frau Joko Kazawa und Chauffeur abgeholt. Mit
einem Rindo-Ko Kleinbus fuhren wir ca. 3 Std. an Tokyo vorbei ins
Zielgebiet, das Naherholungsgebiet mit dem Namen Nasu welches mit unserem
Juragebirge vergleichbar ist. Dort angekommen zeigte Joko mein 2 ? Zimmer
Appartement (Bad/WC/Küche), natürlich japanische Verhältnisse alles etwas klein,
Tatami-Bodenbelag (Schilfmatte) welcher man nur mit Hausschuhen begehen darf,
und ein Futon-Bett (= Matratze auf dem Boden) aber sonst nett. Am Freitag hatte ich noch frei (das fast letzte Mal für 37 Tage) ich
erkundete die Provinz Ortschaft Kurioso-City welche etwa 50'000 Einwohner hat.
Aber alles war in japanisch Angeschrieben und ich verstand nur Bahnhof, neu war
auch für mich dass die Japaner Linksverkehr haben. Samstag 9.10.99 erster
„Arbeitstag“ Yoko holte mich ab und zeigte mir was wo und wie ist. Die Rindo-Ko
Bus Haltestelle Kurioso 08.15 ab (ca. 15 - 20 Min. Fahrt bis in die kleine
Schweiz), dann das Bürogebäude, meine Künstlergarderobe, die Restaurants in den
ich Essen durfte, und zu guter Letzt das Instrument. Leider musste ich bald
feststellen, dass ich das Vergnügen mit einer Gurke von einer Drehorgel hatte;
d.h. Klang, Stimmung und Lautstärke i.O. aber Luftverlust bei Melodien die einen
grösseren Bedarf an Luft haben eierte die Melodie oder man erkannte die Musik
gar nicht. Im weiteren waren die Hälfte der ca. 50 Rollen in schlechtem Zustand
z.B. am Rand eingerissen, die Löcher durchgebrochen, so dass ich nur etwa 20 -25
Bänder (ohne Weihnachtsmusik) spielen konnte. Das wiederum hiess, dass ich jeden
zweiten Tag die gleichen Rollen spielen musste und bei ca. 6 ? - 7 Std.
Arbeitszeit bedeutet das dass ich jedes Band ca. 4 Mal täglich spiele.
Kleines Zahlenspiel: 37 Tage bei. 6 - 7 Std. „örgeln“ à 40 Rollen =
ca. rund 1600 Rollen Gott sei Dank habe ich noch 4 Rollen Schweizer Melodien eingepackt, bei
welchen die Musik sogar gut erkennbar klang. Auch der Wagen war nicht die
gewohnte Qualität sondern ein Modell „klapprig“ und ich war sehr froh dass er
die Zeit gut überstand und nicht auseinander fiel. Abends nach Arbeitsschluss brachte mich der Bus wieder nach Kurioso zurück
und der ca. 5 minütliche Fussweg führte mich am Restaurant P?ele vorbei wo ich
abends mein Nachtessen serviert bekam. Die Wirtsleute Osami (Küchenchef) und
Mayami (Service) stillten nicht nur meinen Hunger und Durst sondern sie waren
auch für meine Seelenpflege zuständig. Sie sprechen beide , für japanische
Verhältnisse, gut englisch und haben grosse Erfahrung mit Schweizern, denn alle
Künstler sei es Ländlerkapellen, Alphornbläser, Bildhauer etc. sowie solche
Drehorgelmänner essen abends bei Ihnen. Hier muss ich ein grosses Kompliment
beifügen, in den 38 Tagen an denen ich dort verwöhnt wurde erhielt ich nie
zweimal das Selbe. Und immer Salat od. Suppe od. Vorspeise dann den Hauptgang und nachher Obst
od. Dessert, dazu ein Getränk nach Wahl. Sogar an Ihrem Freitag fuhren sie mit
mir in grosse Einkaufszentren oder in die heissen Quellen genannt
Honseng. Anschliessend an das Abendessen machte ich meist noch einen
Verdauungsspaziergang durch die Ortschaft bis ich dann im Appartement noch etwas
japanisches Fernsehen sah . Dazu trank ich jeden Abend einen kleinen Whisky, was
zu meinem „Bleibe-Gesund-Programm“ gehörte sowie auch das Glas Orangensaft am
Morgen. Wie auch täglich viel Obst, Salat und Gemüse und immer genügend Schlaf.
Das Programm sah also jeden Tag gleich aus: 07.00 Uhr aufstehen, Frühstück,
Busfahrt, ab 09.00 - 13.00 Uhr orgeln dann Mittagessen und an 14.00 bis ca.
17.00 Uhr wieder aufspielen, Bus zum Appartement, duschen, Handwäsche oder in
die Chem. Reinigung gehen (da ich nur 20 Kg Gepäck mitnehmen durfte musste ich
mich Wäsche technisch gut organisieren), dann Abendessen .... und so
weiter.....siehe oben. Es fehlte mir ein Partner zum Jassen, Witze erzählen, zum
„Schwyzerdütsch schnurre„ oder für einen Plausch so waren die meisten der 38
Abende etwas eintönig, darum war vielfach um ca. 21.00/21.30 Uhr Nachtruhe. Ein
Lichtblick war jeden Morgen wenn der Bus in Rindo-Ko angekommen war, durfte ich
gross zügiger weise an einem der Computer per Internet Schweizer Zeitungen wie
Basler Zeitung, Blick etc. lesen. Und zwischen durch erhielt ich ein Email von
meinem Büro Stellvertreter. Da die Telefonverbindungen aus Japans Telefonkabinen
sehr umständlich sind und die internationalen Telefone in dieser Ortschaft nur
mit Münzen funktionierten und Ferngespräche teuer sind, musste ich mir mit Fax
aushelfen. Esthi durfte mich dann abends von zu Hause im Restaurant anrufen - unsere
arme Swisscom muss ja auch etwas verdienen! Nun noch zum Freizeit- und Erlebnispark Rindo-Ko / Die kleine Schweiz: er
liegt in einer Jura ähnlichen Gegend (im Herbst werden die Blätter der Nasu
Wälder sehr sehr bunt, viel bunter als bei uns) das Gelände hat als Zentrum
einen künstlichen See auf dem man Pedalo fahren kann, um den Park fahren kleine
Züge (Train Touristique), es hat eine Go-Kart-Bahn, einen Grindelwald-Run, sowie
eine „Schwizer“-Zahnradbahn zum grossen Bauernhof wo Milchprodukte hergestellt
werden. Dort kann man auch versuchen Kühe zu melken, Kälbli und Ponys
streicheln, Pferde reiten, eine tägliche Attraktion ist um 14.00 Uhr ein
Alpaufzug genannt „Cow Race“, eine Karate-Show oder wie aus Rahm Butter wird.
Bingo wird gespielt, Degustationsstände mit Wein, Käse und Backwaren laden ein,
sowie diverse Restaurants, Snacks, Verpflegungsstände und natürlich viele
Souvenirs (von Butter bis zum Kitsch - von der Schweiz bis zu China). Bei den
Restaurants störte mich persönlich, dass der Rotwein eisgekühlt und das Essen
meist lauwarm serviert wurde, doch das Schlimmste kommt noch: Im Restaurant „La
Swiss“ werden zum „Gerber“-Fondue neben den Brotwürfeln noch Pommes frites im
selben Körbli serviert !!!! An meinem letzten Arbeitstag erhielt ich noch einen
freien Nachmittag. Wunschgemäss durfte ich noch das in der Nähe stehende
mechanische Musikinstrumentenmuseum besichtigen. Wir wurden (ich war in
Begleitung eines Rindo-Ko Managers) vom Direktor des Museums empfangen und
begrüsst, er zeigte uns die Ausstellung und überreichte mir ein kleines
Gastgeschenk. Die meisten Exponate stammen aus der Schweiz, nur ein kleiner Teil
wurde in Japan hergestellt. Nun habe ich beim Rückflug am 15.11.1999 diesen Bericht verfasst und so die
Flugzeit von 15 Std.. Dies ist der längste Tag in meinem Leben, er hat 32 Std.
(24 Std. + 8 Std. Zeit Verschiebung) gedauert. Beim ruhigen Rückflug ist es seit
ca. 6 Std. Abenddämmerung, doch der wichtigste und grösste Eindruck der beiden
Flüge war, da die Rute von ZH/Kloten - Hamburg - St. Petersburg bis Tokyo, ca.
80 % von 12 Std. Flugzeit bei ca. 860 km/h über russischen Boden geht, die
Grösse dieses Landes. Jetzt im Juli 2000 schreibe ich endlich diesen Bericht ins Reine, dabei
komme ich aus einer zeitlichen Distanz zu einem positiven Schluss, dass die Zeit
in Japan eine sehr unbedarfte Zeit und eine interessante Erfahrung war, trotzdem
ich in der fernen und fremden Kultur Japans manchmal grosses Heimweh
hat. Auch jetzt im Jahre 2016 erinnere ich mich gerne an diese schöne Zeit in Japan zurück und würde dieses oder ein ähnliches Engagement sofort annehmen. Daniel Widmer Basel |